„Was das Europäische Parlament angeht ist der Zug abgefahren. Die Abgeordneten haben sich auf einen Kompromiss geeinigt und werden im April über die Tabakrichtlinie abstimmen. Wir empfehlen Ihnen daher, sich auf den Ministerrat zu konzentrieren. Wie Sie wissen hat Griechenland noch bis zum Sommer die Präsidentschaft inne – ist also für die Agenda verantwortlich. Und wie Sie auch wissen, haben Sie dort erst vor einem halben Jahr eine beachtliche Investition angekündigt. Diese guten Kontakte zur griechischen Regierung sollten Sie ausnutzen – und auf Verabschiedung der Tabakrichtlinie drängen. Jeder Tag ist viel Geld wert.“
So ähnlich begann letzte Woche eine Präsentation an meiner Uni. Ich studiere European Public Affairs an der Maastricht University und besagte Präsentation war eine Simulation des Kurses Lobbyismus in der EU. In unserem Klassenraum saßen meine Kommilitonen, unsere Kurskoordinatorin und zwei Lobbyisten einer großen Tabakfirma. Letztere hatten uns zunächst in einem Workshop die praktische Seite des Lobbyismus vermittelt. Anschließend wurden wir in Gruppen aufgeteilt und bekamen 48 Stunden Zeit, um eine Wettbewerbspräsentation vorzubereiten. Bei dieser sollten wir als fiktive Consultancy-Firmen jeweils unterschiedliche mögliche Auftraggeber von unseren Ideen überzeugen, wie mit der kommenden Tabakrichtlinie umzugehen sei.
Eine der fünf Gruppen hatte als fiktiven Auftraggeber „Philip Morris International“ zugewiesen bekommen, der größte Tabakkonzern der Welt – und entschiedener Gegner der geplanten Tabakrichtlinie. Diese wird Tabakkonzerne unter anderem zwingen, 65 Prozent der Zigarettenverpackungen mit Warnhinweisen zu versehen. Der Konzern hat über 1,5 Millionen Euro für seine Lobbyaktionen gegen die Richtlinie ausgegeben und 161 Lobbyisten auf die Sache angesetzt. Unrealistisch scheint der Vorschlag meiner Kommilitonen daher nicht zu sein, die griechische Regierung unter Druck setzen zu wollen.
Die Simulation und der Kurs über Lobbyismus in der EU haben mich drei Dinge gelehrt:
Erstens geht es in den Entscheidungsprozessen der Europäischen Union manchmal schmutzig zu und dazu tragen Lobbyisten ihren Anteil bei. Unternehmenslobbyisten verwenden, im Auftrag anderer, alle Energie darauf Entscheidungen so zu beeinflussen, dass ihre Auftraggeber von der Gesetzgebung profitieren – und nicht die Allgemeinheit. Nicht wenige von ihnen wenden unlautere und ethisch fragwürdige Methoden an. So werden Abgeordnete unter Druck gesetzt, manchmal ihre Assistenten angeheuert, bzw. abgeworben und ein solches Netzwerk gesponnen, dass der Hinweis „vertrauliches EU-Dokument“ die Tinte auf dem Papier nicht wert ist.
Zweitens ist Lobbyismus in der EU nicht grundsätzlich abzulehnen. Lobbyisten vertreten diverse Interessen, die innerhalb der Europäischen Union existieren. Es ist gut, dass die Europäische Kommission aufwändige Konsultationen betreibt (an der jeder teilnehmen darf), bevor sie eine Gesetzesvorlage schreibt. Das ist nötig, denn die Europäische Union hat viel zu wenige Beamte, um jede Auswirkung eines Gesetzes im Detail analysieren zu können. Auswärtige Expertise ist deshalb unerlässlich. Darüber hinaus gilt die demokratische Freiheit, dass jeder seine Meinung äußern darf und Entscheidungsträger zuhören sollten. Außerdem gibt es nicht nur Lobbyisten, die für das Interesse einzelner streiten. Greenpeace, der WWF und ja, auch die Jungen Europäischen Föderalisten betreiben Lobbying.
Drittens ist mir klar geworden, dass ich kein Unternehmenslobbyist werden möchte. Es ist ein interessanter Beruf, keine Frage: man kommt viel rum, kann sich in viele Themengebiete einarbeiten und vor allem ist nicht nur trockenes Wissen über Entscheidungsprozesse gefragt, sondern Kreativität – und zwar in zweierlei Hinsicht. Wo setze ich in der Politik an und beeinflusse die Entscheidungsträger am effektivsten? Wie überzeuge ich meinen potenziellen Auftraggeber von dieser Idee? Das ist spannend. Leider gibt es einen großen Hacken: All das Wissen und all die Kreativität sollen nur den Interessen weniger dienen, und zwar denen, die am besten zahlen (und das sind nun einmal die Tabak-, Öl-, und Pharmakonzerne).
Dieser Artikel erschien zuerst am 2. Februar 2014 auf treffpunkteuropa, Onlinemagazin der JEF.
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