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AutorenbildVincent Venus

Drei NGO-Kampagnen zur Europawahl

Aktualisiert: 12. Jan. 2020

Dieser Artikel erschien zuerst im Europawahl-Blog von Wahl.de

Die großen europäischen Parteien haben ihre Spitzenkandidaten bestimmt und damit den Wahlkampf eingeläutet. Doch sie sind nicht die einzigen, die zur Europawahl Kampagnen fahren. Nichtregierungsorganisationen schalten nun ebenfalls in den Kampagnenmodus – dabei benutzen sie sehr unterschiedliche Mittel. Drei Beispiele mit Kurzanalyse.


Die weise-Menschen-rufen-zur-Wahl-auf-Kampagne

Die Allianz Kulturstiftung fordert „Wählt Europa“ und schaltet dafür Anzeigen in großen Zeitungen. 50 europäische Persönlichkeiten haben den Appell erstunterzeichnet, der unter anderem fragt: „Wollen wir das „Weniger-Europa“ eines David Cameron, das vom Marktimperativ bestimmt wird, oder ein ‚anderes Europa‘, das den Markt demokratischen Regeln unterwirft, wie es dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, vorschwebt?“ Außerdem ruft er die Bürgerinnen und Bürger auf „anti-europäischen Parteien“ die Stimme zu verweigern, da diese die Demokratie in Europa untergraben wollen.


Kurzanalyse

Verbreitung und Aufmachung machen klar, an wen sich der Appell richtet: an das ältere  Bildungsbürgertum. Als Kanäle fungieren DIE ZEIT und Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Wortwahl ist gehoben, verwendet Englisch und zitiert Jacques Delors. Es gibt zwar eine Internetseite, www.waelt-europa.de, doch diese bietet keine Möglichkeit zur Interaktion. Stattdessen findet sich nur der Appell und individuelle Kommentare der Unterzeichner. Deren Hintergründe werden nicht erklärt und so muss man schon selbst googlen, um zu erfahren, wer Camille de Toledo oder Alain Touraine sind.

Die Multiplikatoren-Kampagne

Das Netzwerk Europäische Bewegung Deutschland (EBD) sammelt „1000 gute Gründe für Europa“. Der Ansatz: Führungspersonen der 235 Mitgliedsorganisation werben in den jeweiligen Verbandspublikationen darum, am 25. Mai zur Wahl zu gehen. Der Aufruf soll auf die entsprechende Zielgruppe zugeschnitten sein. So ruft die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbund, Ramona Pisal, auf: „Europa ist eine Frau – Frauen, wählt Frauen!“ und Klaus Dauderstädt, Bundesvorsitzender des Beamtenbund und Tarifunion, stellt klar „Europa braucht starke Sozialpartner und ein selbstbewusstes Parlament.“ Zusammengehalten wird die Kampagne durch ein von der EBD bereitgestelltes Layout, eine schlichte Internetseite und ein Facebook-Album.



Kurzanalyse

Bereits zur Europawahl 2009 setzte die EBD auf Testimonials. Nach eigenen Angaben nahmen damals 17 Mitgliederorganisationen teil, die 1,5 Millionen Kontakte erzielten. Mit der Kampagne versucht die EBD das Eigeninteresse der potenziellen Wählerinnen und Wähler anzusprechen und unterstützt diese rationale Ansprache durch sozialen Druck („Die Präsidentin meines Verbandes will, dass ich wählen gehe“). Für ein kleines Budget, 2009 waren es 600 Euro, erreicht die EBD tatsächliche viele Menschen. Doch die größte Gruppe der Nichtwähler wird wohl niemals einen der Aufrufe sehen. Denn von der Wahl bleiben vor allem jene fern, die nicht zivilgesellschaftlich organisiert sind.

Die Europaretter-Kampagne

Die überparteilichen Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) rufen in erster Linie nicht dazu auf, zur Wahl zu gehen. Stattdessen fordert die JEF: „Wecke den Europaretter in Dir!“. Junge Menschen sollen ihr Statement zur europäischen Integration abgeben, sei es eine Forderung, ein Bekenntnis oder eine Frage. Neben vielen JEF-Mitgliedern haben bereits Bundesvorstandsmitglieder der Jugendorganisationen der Parteien mitgemacht, unter anderem Laura Stoll von der JU oder Alexander Hahn von den Julis.


Auf www.europaretter.de kann man das Statement abgeben und sich gleichzeitig über die Positionen der JEF informieren. So fordert sie einen gemeinsamen europäischen Außenminister oder auch eine gemeinsame Wirtschafts- und Sozialpolitik. Auf jeder Statement-Seite werden Besucher zum Teilen in sozialen Netzwerken aufgerufen und jede Woche gibt es ein Update über die am meisten verbreiteten Beiträge. Auf Twitter gibt es einen extra Account und entsprechenden Hashtag. Unterstützt wird die Kampagne durch Offline-Aktionen der Kreis- und Landesverbände, denen ein einheitliches Campaign Design mit Postern, Flyern und T-Shirts zur Verfügung steht.

Kurzanalyse

Vor der Kurzanalyse ein wichtiger Hinweis: Ich bin nicht neutral, weil Mitglied im Bundesvorstand der JEF und in der Kampagne involviert. Trotzdem möchte ich erst die Stärken und danach die Schwächen anreißen.


Anstatt einfach nur zum Wählen aufzurufen, wollen wir die Europawahl nutzen, um junge Leute für unsere Sache zu gewinne. Denn mit unseren 3.200 Mitgliedern und kleinem Budget wären wir sowieso zu klein, um die Wahlbeteiligung zu steigern. Ähnlich wie die EBD setzen wir auf individualisierte Ansprachen: Junge Menschen sollen ihr persönliches Statement abgeben und dieses verbreiten. Wir hoffen damit das Echo-Prinzip (Yussi Pick) nutzen zu können. Die Hürde zum Mitmachen ist relativ gering: aufwändiger als eine Petition, aber in 10 Minuten erledigt.


Die Optik orientiert sich an Superhelden und soll auflockern. Alle Texte sind kurz gehalten und richten sich an die besser gebildete JEF-Zielgruppe. Online- und Offline-Welt werden verbunden: die 1.500 Plakate und 30.000 Flyer weisen auf die Webseite hin und die Webseite auf lokale Aktionen. Letztere können die örtlichen JEF-Sektionen so gestalten wie sie wollen. Für Veranstaltungen gibt keine zentralen Vorgaben, nur How-to-Papiere mit Anregungen.


Soweit zu den konzeptionellen und praktischen Stärken. Die Europaretter-Kampagne hat jedoch auch mindestens zwei Schwächen: Erstens werden komplexe Webseiten wie europaretter.de normalerweise von Profis entwickelt. Wir hatten nur 100 Euro für das Webseitentemplate und ehrenamtlich geleistete Nachtschichten eines Vorstandsmitglieds. Deswegen tauchen ab und zu Fehler auf, die neue Besucher abschrecken könnten. Zweitens fehlt eine überzeugende Motivation für Externe, ein Statement abzugeben – auch wenn es nur 10 Minuten dauert. Dieser Umstand könnte die ganze Kampagne schwächen, weil die Statements das primäre nach außen wirkende Element sind. Denn ohne Statements gibt es keine Europaretter.


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